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Dr. Rosa Kempf

Dr. Rosa Kempf

Eine waschechte Birnbacherin

Autor: Viktor Gröll

Dass sich Frauenrechte hierzulande entwickeln konnten, ist Rosa Kempf, einer gebürtigen Birnbacherin, zu verdanken.

100 Jahre Freistaat Bayern, das ist gleichbedeutend mit 100 Jahre Frauenwahlrecht. Beide Anlässe wurden gebührend gefeiert. Dass sich Frauenrechte hierzulande überhaupt entwickeln und behaupten konnten – selbst wenn es da und dort noch Fehlentwicklungen gibt – ist auch einer waschechten Niederbayerin zu verdanken. Die Rede ist von Dr. Rosa Kempf, die am 8. Februar 1874 in Birnbach (noch ohne „Bad“) im Rottal zur Welt kam. Ihr Vater Dr. Jakob Kempf kaufte mit seiner Ehefrau Emma ein Jahr zuvor ein Grundstück. Ein Wohn- und Praxisgebäude entstand. Während der Vater nach seiner Zeit beim Militär als Landarzt den Lebensunterhalt sichert, tritt die Mutter vor allem durch soziale Arbeit beim Roten Kreuz in Pfarrkirchen und Oberviechtach in Erscheinung. Rosa Kempf wurde Lehrerin. Unter anderem unterrichtete sie einige Jahre im benachbarten Wolfakirchen. Ihre Seminarausbildung in München schloss sie 1892 im Alter von 18 Jahren erfolgreich ab. Was dann folgt, darf man getrost - und vor allem angesichts der Zeit, in der sie lebte - als außergewöhnlich bezeichnen. Heute würden wir wohl von einem zweiten Bildungsweg sprechen. 1904 unterbricht sie nämlich den Schuldienst, um das Gymnasial-Absolutorium am Theresien-Gymnasium in München abzulegen. Mit 31 Jahren schreibt sie sich 1905 in München an der Universität ein, um Philosophie und Staatswissenschaften zu studieren. 1911 promovierte sie. „Das Leben der jungen Fabrikmädchen in München“ lautete der Titel ihrer Dissertation. Für deren Erstellung ging sie selbst für jeweils eine Woche in eine Textil- und eine Holzwarenfabrik. „Die in den Fabriken arbeitenden Männer sprechen von den weiblichen Arbeitskräften fast stets von 'Weibern', während die Frauen und Mädchen von ihren Arbeitskollegen von 'Herren' sprechen. Die Männer allein sind beruflich gebildet, sie allein werden Vorarbeiter und Meister und stehen an den wichtigsten Posten, verteilen die Arbeit an die Frauen und kontrollieren sie; Männer allein verdienen so hohen Lohn, dass sie ihren eigenen Lebensunterhalt decken können“, zitiert Andrea Kampf in ihrer eigenen Dissertation (Frauenpolitik und politisches Handeln von Frauen während der Bayerischen Revolution 1918/19, Universität Hagen) die Frauenrechtlerin Rosa Kempf. 37 Jahre ist sie alt, als sie ihre Arbeit einreicht. Ihr Doktorvater Prof. Dr. Ludwig Joseph von Brentano bezeichnete sie als „wissenschaftlich und schriftstellerisch gleich hervorragend“. Wie Karin Sommer in ihrem Beitrag „Sieg des Geistes über die Brutalität – dann sind wir frei“ (Maximilianeum, Beilage der Bayer. Staatszeitung Nr. 5 vom Juni 2002) feststellt, ist Brentano ansonsten kein Freund des erst 1903 in Bayern genehmigten Frauenstudiums. „Weibliche Hörer sind mir ein Greuel, sie wissen und verstehen nichts, machen sich nur wichtig mit dem Besuch der Universität“, hat er einst gesagt. Dr. Rosa Kempfs Arbeit darf man aufgrund dessen umso höher einschätzen. Sie selbst wäre wohl gerne als Wissenschaftlerin an der Universität geblieben, allein dafür war die Zeit aber wohl noch nicht reif. Sie geht nach Frankfurt, wird wissenschaftliche Assistentin am Frankfurter Institut für Gemeinwohl und übernimmt als Direktorin das „Frauenseminar für Berufsarbeit“ in der Mainmetropole. 1916 wird sie Mitglied im Vorstand des Deutschen Reichsverbandes für Frauenstimmrecht. Zu Ende des ersten Weltkrieges wechselt Kempf von Frankfurt nach Düsseldorf, ebenfalls als Direktorin an einer vergleichbaren Schule. Diese Zusammenarbeit endete aber bald. Im November 1918 wird in Bayern die DDP/DVP gegründet, Rosa Kempf wurde prompt in den Parteivorstand gewählt. Am 7. November 1918 proklamierte der erste Ministerpräsident des jungen Freistaates, Kurt Eisner, das Frauenwahlrecht. Aber gerade einmal acht Frauen waren unter den 256 Delegierten, obwohl Eisner sicherlich großen Einfluss auf die Zusammensetzung des provisorischen Nationalrates hatte. Darunter war auch Dr. Rosa Kempf, die als Vertreterin des Hauptverbandes der bayerischen Frauenvereine eine einstündige Rede im provisorischen Nationalrat hielt, die zudem große Beachtung fand. Ein Ereignis von historischem Charakter, denn es war die erste Rede einer Frau in einem bayerischen Parlament. Für die Deutsche Demokratische Partei zog Rosa Kempf nach erfolgreichem Wahlkampf 1919 in den ersten Landtag des Freistaates Bayern ein. Sie galt als eine der aktivsten weiblichen Abgeordneten und beschäftigte sich vorwiegend mit dem Frauenstimmrecht. Gut eine Stunde lang dauerte ihre erste Rede im provisorischen Nationalrat am 18. Dezember 1918.

 

Dr. Rosa Kempf, geb. 8. Februar 1874 in Birnbach (noch ohne „Bad“)
Dr. Rosa Kempf, geb. 8. Februar 1874 in Birnbach (noch ohne „Bad“)
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„Wir Frauen waren in früheren Zeiten politisch rechtlos, wir konnten nicht mitbeschließen“

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, rief sie den Abgeordneten zu. Manch einem männlichem Kollegen mögen ihre Schlussfolgerungen nicht sonderlich gefallen haben. „Wir können die Verantwortung für das, was in der Vergangenheit geschehen ist, von uns weisen. Wir haben es leichter, zur gegenwärtigen Politik Stellung zu nehmen wie die Männer, denn wir sind nicht durch alte Traditionen gebunden. Wir Frauen waren gerade in der Kriegszeit von wirklicher Politik ausgeschlossen“, sagte sie. Und sie legte den Finger in manche Wunde: „Wenn wir uns in diesem Saale umsehen, dann werden Sie vergeblich die gleichberechtigte Beteiligung der Frau suchen. Wo hat der Bauernrat seine Bäuerinnen“, fragte sie provokant und schickte gleich hinterher: „Der Bauernhof kann aber ohne Bäuerin nicht geführt werden“. Es war eine lebhafte Rede, die von zahlreichen Zwischenrufen begleitet wurde. Manch „Lebhaftes Bravo“ und „Sehr gut“ vermerkte der Stenograf. Selbst Ministerpräsident Kurt Eisner ist als „Zurufer“ im Protokoll festgehalten. Dieser meldete sich nach Dr. Rosa Kempf selbst noch zu Wort und ging in die direkte Widerrede: „Die Vorrednerin hat gemeint, dass die Frauen heute unter dem Terror der rohen Gewalt stünden und sich deshalb nicht frei bewegen können. Ich halte es nicht für glücklich, wenn die Zustände, wie sie gegenwärtig bei uns in Bayern und in München herrschen, so übertrieben dargestellt werden“, sagte er unter anderem und zeigte, dass er, der das Frauenwahlrecht mit auf den Weg brachte, nicht mit allen Thesen von Dr. Rosa Kempf einherging.

Lange währte die die Zeit im Parlament nicht. Bereits 1920 wurden die Bayern wieder an die Wahlurnen gerufen. Dr. Rosa Kempf wurde nicht mehr gewählt. Ein Jahr später kehrte sie als Dozentin wieder nach Frankfurt zurück. Dort trat sie auch als Rednerin auf. Immer wieder ging es um die Themen Frauenarbeit, Frauenbildung und Wohlfahrtspflege. Bis 1933 ging sie ihrer Lehrtätigkeit nach. Außerdem engagierte sie sich in mehreren Organisationen, etwa als Vorstandsmitglied im Bayerischen Landesverband des Allgemeinen Deutschen Frauenvereins, aber auch im Deutschen Akademikerinnenbund (DAB). Hier war sie nicht nur Gründungsmitglied, sondern lange Jahre Vorsitzende der Frankfurter Ortsgruppe. Offen positionierte sie sich gegen die erstarkende NSDAP. 1933 schließlich wurde sie im Zuge der Gleichschaltung des Frauenseminars als politisch unzuverlässig entlassen. Ein Berufsverbot folgte, der Einsatz der Schulleitung für sie konnte das nicht verhindern. Mit 59 Jahren war sie de facto kaltgestellt. Nun begann eine schwere Zeit für Rosa Kempf, die sehr darunter litt, tatenlos dem Geschehen zusehen musste. Es kam noch schlimmer. Nach Ende des Krieges beschlagnahmte die amerikanische Besatzungsmacht 1945 das Haus, wo sich seit über 10 Jahren ihre Wohnung befand. Psychische Belastungen waren die Folge. Wiederholt verlor sie die Orientierung und fand nicht mehr nach Hause. Eine ehemalige Schülerin brachte sie schließlich als „geistig verwirrt“ in ein Altenpflegeheim bei Darmstadt. Am 3. Februar 1948 verstarb Dr. Rosa Kempf in Darmstadt an Herzversagen. Beigesetzt wurde sie auf dem Münchner Nordfriedhof.
Der Heimatkundekreis in ihrem Geburtsort Bad Birnbach hat ihre Geschichte nachgezeichnet. Das Konterfei dreier großer Söhne der Marktgemeinde ziert den Rathaussaal im ländlichen Bad. Was die Heimatforscher um Josef und Hans Putz – auch unter Mitwirkung der leider kürzlich verstorbenen Beate Jäger – zutage gefördert haben, könnte Anlass genug sein, einer großen Tochter die gleiche Ehre zu erweisen. Auch um zu zeigen, dass es nach 100 Jahren kein zurück mehr gibt, was Menschenrechte ganz allgemein und die Gleichberechtigung zwischen Mann und Frau im Besonderen betrifft. Gerade in bewegten Zeiten wie diesen wäre das ein großes Signal.

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